Über Medhananda
Medhananda ist der spirituelle Sanskrit-Name, den Mirra Alfassa (im Sri Aurobindo Ashram Mutter genannt) einem ihrer Schüler gegeben hat: dem in Deutschland geborenen Fritz Winkelstroeter (1908-1994), der seine Schulzeit in Pforzheim verbrachte und, neben Englisch und Französisch, schon früh Latein und Griechisch lernte. Trotz seines regen Interesses an den antiken Kulturen, ihren Symbolen und ihrer Spiritualität studierte er, wie sein Vater (ein wohlhabender Ingenieur und Industrieller) es wünschte, in München, Heidelberg und Paris Rechtswissenschaft. Während dieser Jahre hatte er das Glück, von dem hervorragenden Gelehrten Richard Wilhelm – der das „I Ging“, das „Tao Te Ging“ und viele andere antike Texte aus dem klassischen Chinesisch übersetzte – unterrichtet und in die chinesische Kultur und Denkart eingeführt zu werden.
Obwohl Medhananda bereits eine vielversprechende Laufbahn als Jurist vor sich hatte, verließ er 1934 mit seiner französischen Frau Deutschland, um dem zunehmenden Nationalsozialismus zu entgehen. Sie wanderten nach Tahiti in Französisch-Polynesien aus, siedelten sich auf dessen Nachbarinsel Moorea an, wo sie 200 Hektar Urwald kauften, ein kleines Haus bauten und sich zum Anbau von Vanille und Kaffee als Farmer niederließen. Ihre drei Kinder wuchsen in dieser paradiesischen Umgebung auf. In der unberührten Stille des dortigen Urwalds begann Medhananda, die verschiedenen Bewusstseinsstrukturen, die seinem Selbstgewahrsein zugänglich waren, zu erkunden. Es bot sich ihm auch reichlich Gelegenheit, die vorchristliche Kultur, die uralte Gnosis Polynesiens zu erforschen und mit deren magisch-mythischen Symbolen in Berührung zu kommen. Während des zweiten Weltkrieges wurde er (ein Deutscher) nahe Tahiti als feindlicher Ausländer von Französisch-Polynesien fünf Jahre lang interniert.
Nach seiner Entlassung 1946 stieß er auf die Schriften des indischen Yogis, Dichters und Philosophen Sri Aurobindo. Tief beeindruckt davon, zog er nach Indien und lebte von 1952 an im Sri Aurobindo-Aschram in Pondicherry/Indien, wo ihm die Betreuung der Bibliothek übertragen wurde. Viele Jahre lehrte er vergleichende Religionsgeschichte am Sri Aurobindo International Centre of Education, wozu er bestens qualifiziert war durch sein lebenslanges Interesse und Studium der spirituellen Kulturen verschiedenster Kontinente und verschiedenster Zeitepochen. 1965 wurde er Herausgeber der Vierteljahreszeitschrift „Equals One”, für die er zahlreiche Beiträge verfasste. 1978 gründete er gemeinsam mit seiner langjährigen Mitarbeiterin Yvonne Artaud das Identity Research Institute in Pondicherry 605010 / Indien, ein Forschungsinstitut für fundamentale Psychologie. Das eigentliche Lebenswerk galt nach langjährigen Studien und einigen Studienreisen der Erforschung der Bilder, Hieroglyphen und Symbole des alten Ägypten. So wie sein Lehrer Sri Aurobindo in den Aussagen der Veden (der altindischen spirituellen Texte) eine psychologische Symbolsprache entdeckte, die tiefes inneres Wissen enthält (siehe dazu: Sri Aurobindo „Das Geheimnis des Veda“), entdeckte Medhananda in den alten ägyptischen Hieroglyphentexten und Bildern – mit dem gleichen psychologischen Ansatz und Schlüssel – Botschaften der Selbsterkenntnis.
Anmerkung: Obwohl seine Muttersprache deutsch war, hat Medhananda seine Erkenntnisse, Erfahrungen, Geschichten, ägyptischen Bild-Interpretationen etc. in englischer Sprache aufgezeichnet (ausser das Spiel: Der goldene Ball). Seine Bücher werden zur Zeit ins Deutsche, Französische und Spanische übersetzt.
Was bedeutet der Name Medhananda?
Medhananda setzt sich zusammen aus Medha und Ananda (zwei Sanskritwörter):
Medha bedeutet Denkwesen, das Mental (englisch mind),
Ananda heißt Seligkeit.
Medha und Ananda zu vereinen, war Aufgabe und inneres Programm von Medhananda.
Wir sind es gewohnt, unser Mental fast ausschließlich als Trennungs- und Teilungsinstrument zu gebrauchen. Auf einer höheren Stufe der Bewusstseinsleiter gibt es jedoch ein Denken, das alles mit allem verbinden kann, das alles in seiner Ganzheit und Verwobenheit wahrnimmt.
Trennung, Absonderung von der Einheit des Seins, bedeutet Schmerz.
Die Bewegung des Verbindens mit dem Ganzen ist Seligkeit.
Seligkeit (Ananda) in Medha einfließen zu lassen, bedeutet Medha-Ananda; ein Programm nicht nur für einen Einzelnen – sondern für uns alle.
Medhananda, ein Schüler Sri Aurobindos
Zusammenfassung oder Auszüge aus einem Artikel von Yvonne Artaud, der (Original englisch) in der Zeitschrift Mother India im Oktober 1994 publiziert wurde:
Wie fand Medhananda – weit weg in Französisch-Polynesien lebend – den Kontakt zu Sri Aurobindo, der in Pondicherry in Indien lebte und wirkte?
In diesem Weltall steht alles mit allem in Resonanz, und so kam es, dass Medhananda – innerlich empfangsbereit dafür – vom Schwingungsfeld Sri Aurobindos berührt wurde, und seine ‚Saite‘ in Resonanz zu vibrieren begann: In der damals einzigen Buchhandlung der französisch-polynesischen Insel Tahiti entdeckte er auf einer Bücherliste Werke von Sri Aurobindo, bestellte sie (im Verlag A. Maisonneuve, Paris) und tauchte in sie ein. Tief berührt davon und voller Aspiration, sich dem inneren Leben und der Realisation eines höheren Bewusstseins hinzugeben, schrieb er an Sri Aurobindo (dieser Brief existiert nicht mehr). Am 30. Sept. 1949 kam dann Sri Aurobindos Antwort, von Pavitra (seinem Schüler und Sekretär) folgendermaβen formuliert:
„Sri Aurobindo hat mich gebeten, Ihren Brief zu beantworten. Er stimmt zu, Ihnen auf dem Weg der göttlichen Realisation und supramentalen Transformation zu helfen […]. Da es für Sie schwierig sein wird, so eine weite Reise von Tahiti nach Pondicherry zu unternehmen, rät Ihnen Sri Aurobindo, vorerst zu warten [mit einer Reise in den Ashram nach Indien]. Wenn Sie wissen, wie die Zeit, die Ihnen gegeben ist, zu nützen ist, wird sie nicht umsonst sein. Schreiben Sie von Zeit zu Zeit, um mitzuteilen, wie es bei Ihnen voran geht“.
Medhananda schrieb mehrere Briefe an Sri Aurobindo (und es geht daraus hervor, wie sehr er die spirituelle Kraft und Unterstützung Sri Aurobindos wahrnahm.) Dieser lieβ seine Antworten wiederum durch Pavitra übermitteln.
Anfangs 1951 wurde Medhanandas ‚Realisation‘, die ihm von Sri Aurobindo versprochen worden war, Wirklichkeit; tiefe spirituelle Erfahrungen wurden ihm zuteil.
Danach hörte der Ashram während einiger Monate nichts mehr von ihm, nur Bestellungen für weitere neu gedruckte Bücher von Sri Aurobindo kamen.
Dann, am 31. August 1951, nach dem Erhalt einer Broschüre über ein geplantes internationales Schul- und Universitätszentrum in Pondicherry, den Pavitra ihm zukommen lieβ, schrieb Medhananda zurück:
„Nach dem Lesen des Prospekts über das geplante internationale Sri Aurobindo-Schulzentrum in Pondicherry fühle ich groβe Begeisterung. Ich sende Ihnen meine besten Wünsche für einen baldigen Start. Gleichzeitig erneuere ich mein Angebot bedingungsloser Mithilfe und des Dienstes; vom Reinigen der Räume bis zur Mitarbeit in höheren Studien des vergleichenden Mystizismus.
In der Zwischenzeit könnte ich mithelfen, Backsteine zu legen. Meine ganze Aspiration liegt in diesen Wünschen. Empfangen Sie den Ausdruck meiner totalen Hingabe.“
Danach gab ihm die Mutter die Erlaubnis, in den Ashram zu kommen.
Als Medhananda durch Pavitra von dieser Nachricht erfuhr, antwortet er:
„Soma [Seligkeit] ist durch Ihren Brief zu mir gekommen. Ich bereite mich auf die Abreise vor…“
In Französisch-Polynesien war es nicht möglich, einen deutschen Pass zu erhalten und deshalb auch kein Visum. Medhananda reiste ab ohne beides; er hatte lediglich ein Empfehlungsschreiben des Bürgermeisters von Tahiti an den Bügermeister von Pondicherry [in Französisch-Indien] bei sich. Jedes Mal, wenn er nach dem Pass gefragt wurde und seine Situation erklären musste, sagte der diensthabende Beamte mit einem Lächeln: „Oh, so ist es viel einfacher!“
Nach einer zweimonatigen Reise erreichte er am 15. Februar 1952 Pondicherry.
Am 26. desselben Monats konnte er die Mutter treffen, die ihm seinen spirituellen Namen Medhananda gab – und damit ein neues Programm, ein neues Leben, einen neuen Yoga; denjenigen Sri Aurobindos, welcher alle anderen Yogas integriert.
Yvonne Artaud
1924 – 2009, in Lyon, Frankreich geboren, arbeitete als Zahnärztin für Kinder in Paris, bevor sie 1952 dem Sri Aurobindo Ashram in Südindien beitrat. Ihre Aspiration war es, durch den integralen Yoga Sri Aurobindos ihr Bewusstsein zu vertiefen, zu intensivieren. Sie unterrichtete in der Ashram Schule (dem Sri Aurobindo International Centre of Education) und wirkte als vielfältige Künsterlin: Sie malte, schrieb Gedichte und Bühnenstücke.
Von 1963 an befasste sie sich intensiv mit der Psychologie und der Bewusstseinsentwicklung von Vorschulkindern und auch derjenigen der Primaten Süd-Indiens. Zahlreiche Artikel und Studien zum Thema Tierpsychologie und Kinder-Früherziehung (auch vorgeburtliche Erziehung) wurden von ihr verfasst. Sie kreierte vielfältige Materialen, Erziehungs- und Bewusstseinsspiele – darunter auch die Aurograms, Symbolkarten zur Förderung der Ausdrucksmöglichkeiten des Kindes, das auf diese Weise sein Innerstes und seine Sicht der Welt spielerisch kommunizieren kann.
Ihre weiteren Symbolspiele ‚Der Weg des Helden Herakles‘ und ‚Das grosse Haus‘ erwiesen sich in der Praxis als grosse Hilfe für die Förderung einer holistischen Entfaltung und Entwicklung des Kindes.